Der Geschmack von Farben. Wenn das Gehirn zuerst mit den Augen schmeckt…

Wein ist ein komplexes und multisensorisches Objekt, ein subtiles Gleichgewicht von Farben, Aromen, Texturen und unbeschreiblichen Empfindungen. Um sie in all ihren sensorischen Dimensionen vollständig zu erfassen, müssen wir in die verzweigtesten Gänge des Gehirns eintauchen und so verstehen, wie der Geschmack des Weins entsteht, wie unsere verschiedenen Sinne an seiner Analyse und Darstellung beteiligt sind und wie die mentale Konstruktion des Weins Emotionen und Wertschätzung hervorruft.

Unter den Sinnen, die bei der Weinprobe aktiviert werden, ist das Sehen unerlässlich. Es ist es, das uns erlaubt, seine Farbnuancen, seine Intensität, seine Klarheit und seine Reflexe zu schätzen. Zu diesem Thema beleuchtet Bernard Valeur in einem schönen Artikel in dieser Ausgabe die physikalischen Grundlagen der Weinfarbe und erklärt die Methoden zu ihrer Analyse. Dieser Artikel wirft auch eine grundlegende Frage auf: Wie trägt die Farbe des Weins zu seinem Geschmack bei? Kann diese Farbe unsere Wahrnehmung der Aromen des Weins beeinflussen?

In einem berühmten Experiment aus dem Jahr 2001 zeigten Gil Morrot, Frédéric Brochet und Denis Dubourdieu, dass die einfache Rotfärbung eines Weißweins die Wahl der aromatischen Deskriptoren, die von den Verkostern in Richtung Rotweindeskriptoren verwendet werden, verzerrt (Morrot et al., 2001 Brain Lang). Ebenso zeigen andere Studien, dass die Erkennung und Identifizierung eines Geruchs in niedriger Konzentration erleichtert wird, wenn gleichzeitig ein Bild oder eine Farbe, die diesem Geruch entspricht, präsentiert wird (Dolan und Gottfried, 2003, Neuron). Aus der Sicht der Intensität (oder Sättigung) der Farbe zeigt eine Studie, dass ein Geruch intensiver wahrgenommen wird, wenn die Farbe des zugehörigen Getränks dunkler ist (Kemp und Gilbert, 1997, Am J Psychol). Zusammen zeigen diese Erfahrungen, dass die Farbe des Weins unsere Wahrnehmung des Weingeschmacks grundlegend verändern kann. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären?

Von: Gabriel Lepousez
Quelle: http://search.oeno.tm.fr/search/article/4cfedbe6-8800-406d-a53f-ee4578d93214